Warum braucht es so oft Schreckensszenarien, um Dankbarkeit zu verspüren? Unsere Autorin plädiert für eine positivere Grundeinstellung.

Kolumne von Nadine Schwarz

Kennen Sie, liebe Leser:innen, die Fotomontagen von Uğur Gallenkuş? Der türkische Digital-Künstler mit 1,1 Millionen Followern auf Instagram (@ugurgallen) und zuletzt einer Ausstellung in Stuttgart konstruiert beeindruckende und zugleich erschreckende Parallelwelten, indem er zwei Motive, die gegensätzlicher kaum sein könnten, zu einem zusammengefügt. Beispielsweise eine Luxusbadewanne und Kinder, die im Gazastreifen gebadet werden; Models auf dem Catwalk und Flüchtlinge aus Syrien. Eine Collage zeigt einen Gitarrenspieler und einen Kindersoldaten mit einer Kalaschnikow; ein Kind, das in einer Pfütze spielt, während ein anderes in Kenia aus einem dreckigen Wasserloch trinkt. Ein Mensch, der versucht die Mauer zwischen Mexiko und den USA zu überqueren und eine Hochspringerin bei den olympischen Spielen.

Warum ich Ihnen davon erzähle? Als zuletzt ein krankes Kind mit einhergehender Schlaflosigkeit, Redaktionsschluss, ein prall gefüllter Korb mit Bügelwäsche und tristes Regenwetter zusammenkamen, lagen meine Nerven blank. Ich hatte das Gefühl, nur noch funktionieren und dabei auch noch irgendwie auf gute Laune machen zu müssen. Frustrationsgefühle und Selbstmitleid haben sich in mir ausgebreitet. Und während mir zunehmend die Wertschätzung für mein Leben verloren ging, bin ich auf die Bilder von Uğur Gallenkuş gestoßen. Mit dickem Kloß im Hals und feuchten Augen wurde mir mein Jammern auf hohem Niveau mal wieder bewusst. Uns geht es so gut, dass ich bereits durch eine kurzweilige Ausnahmesituation völlig aus dem) Gleichgewicht gerate. Hier gibt es keinen Katastrophenfall, sondern lediglich nicht erledigte To-Dos – na gut, den Schlafmangel sollte man vielleicht nicht unterschätzen, wenn es um die Wahrnehmung geht.

 Aber mal ehrlich, wieso rückt das Gefühl der Dankbarkeit so oft in den Hintergrund? Wieso toppen wir uns scheinbar so gerne mit negativen Dingen? Ich jedenfalls möchte künftig wieder mehr dankbar sein: für meine Familie und Freunde, für Gesundheit und Unversehrtheit, für jedes Lächeln, für spürbare Solidarität, für unsere Bildungschancen und Demokratie, für unsere gesicherte Existenz. Natürlich wird es immer wieder Tage geben, an denen andere – genauso menschliche – Emotionen überwiegen werden, aber Dankbarkeit als positive Grundeinstellung wird die Zündschnur in Zukunft sicherlich länger und länger werden lassen.

Meine liebe Branchenkollegin Gabriela Contoli ist derzeit unermüdlich in ihrer Heimat, dem Ahrtal, im Einsatz. Trotz der verheerenden Situation schafft sie es positiv zu bleiben. Ihre Worte sind mein künftiges Mantra für mehr Dankbarkeit und Wertschätzung:

Fühle mich müde der Macht

Fühle mich voll der Hoffnung

Fühle mich müde der Energie

Fühle mich voll der Begeisterung

Fühle mich müde von schlechten Vibrationen

Fühle mich voll von schwarzem Humor

Fühle mich müde der Zerstörung

Fühle mich voll des Wiederaufbaus

Fühle mich müde vom Egoismus

hle mich voller Liebe und Hilfsbereitschaft!

Habe genug von der Gegenwart Fühle mich voller Zukunft! Wir schaffen das!

Nadine Schwarz denkt jetzt positiv: Auf Regen folgt auch wieder Sonnenschein.

Die Kolumne von Nadine Schwarz erschien zum ersten Mal in der newClips – 04-21 (Seite 57)

Diese Kolumne ist zu lesen im E-Paper online in der Ausgabe 04-21, Seite 57