„Ein Akt der ökonomischen Notwehr oder klare Straftat?“
Kommentar von Judith Lorenzon
Die coronabedingten Ladenschließungen und Beschäftigungsverbote haben in Deutschland zum stärksten Anstieg der Schattenwirtschaft seit über 20 Jahren geführt. Vor allem bei den Friseuren boomte die Schwarzarbeit – aus Angst vor der Pleite. Viele eigensinnige Haare hielten sich nämlich nicht an den verordneten Lockdown und wuchsen munter weiter, sodass Friseure immer wieder in die Bredouille kamen, wenn die Kund:innen anriefen und um einen privaten Besuch samt Haareschneiden baten.
Viele konnten dem unmoralischen Angebot nicht widerstehen und nahmen aus Verzweiflung an – wer Umsatz braucht, greift eben zum letzten Strohhalm. Dabei kam einigen Friseuren die Haar-Eskapade teuer zu stehen. So wurden nicht nur Geldstrafen – bei der ersten Ordnungswidrigkeit 250 Euro, im Wiederholungsfall bis 2500 Euro und, wenn es professionell angeboten wurde, sogar 25.000 Euro – sondern in Einzelfällen auch Freiheitsstrafen verhängt. Das war es dann mit der Karriere und dem Salon. Natürlich ist auch eine Verzweiflungstat eine strafbare Angelegenheit, aber sollte man hier nicht Milde walten lassen? Es ist doch verständlich, dass viele schauen, wo sich was hinzuverdienen lässt, um einen Teil der Verluste zu kompensieren. Lethargisch auf staatliche Hilfen warten, ist halt nicht jedermanns Sache (und kann sich auch nicht jedermann leisten!). Sollte der Staat deshalb, zumindest bis die Krise vorbei ist, beim juristischen Verfolgen der Schwarzarbeit nicht etwas weniger rigoros vorgehen?
Selbstverständlich könnte man jetzt gegenargumentieren und nicht nur die Steuerhinterziehung – die meisten Schwarzarbeiter zahlen natürlich weder Steuern noch Sozialabgaben, was Fiskus und Sozialkassen mehrere Milliarden Euro jährlich kostet – sondern auch die Gefährdung der Gesundheit von Kunde und Friseur ins Spiel bringen. So stellt der Tatbestand des Hausbesuches, um eine körpernahe Dienstleistung durchzuführen, in diesen Zeiten laut §§ 178 f StGB eine Straftat da, für die eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen ist. Denn die geltenden Hygienestandards zur Eindämmung der Pandemie können in Wohnräumen wohl kaum eingehalten werden. Ist Schwarzarbeit nun gutzuheißen, wenn man es zum Teil doch versteht?!
Judith Lorenzon ist Vollblut-Redakteurin, liebt es kreativ tätig zu werden und bevorzugt Optimismus in Magazinen & Zeitungen.
Der Kommentar „Schwarzarbeit: Ein Akt der ökonomischen Notwehr oder klare Straftat?“ ist zum ersten Mal in der newClips – 01-21 erschienen (Seite 16)