Ignoriert, unterschätzt, verkannt: Das Handwerk und seine Werte!

Von Judith Lorenzon

Früher waren handwerkliche Berufe hoch angesehen. Heute sehen sie viele als Notlösung für alle, die es zu nichts gebracht haben. Wie oft hat man im Leben schon den Satz gehört: „Der/Die ist ja NUR …!“ Wann ist es eigentlich so weit gekommen, dass Ausbildungsberufe – vor allem Handwerksberufe – nichts mehr in unserer Gesellschaft zählen? Das große Problem unserer Gesellschaft ist, dass Abitur und Studium idealisiert werden. Hat man kein Abiturzeugnis und keinen Uniabschluss in der Tasche, ist man doch nichts wert! Das ist jedenfalls die Message, die einem teilweise von klein auf vermittelt wird. Aber warum wird über Ausbildungsberufe im Handwerk so abschätzig geurteilt?

Wieviel wert Handarbeit?

 Weil es sich bei einem Großteil der Handwerksberufe nicht um die best bezahltesten Jobs handelt. In Gehaltrankings belegen sie regelmäßig die letzten Plätze. Ganz nach dem Motto: „Verdienst du wenig, bekommst du wenig Anerkennung“, schließen viele eine Ausbildung im Handwerk für sich daher aus. (Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Mafo hervor.) Dass man für einen Job im Handwerk zwar kein achtjähriges Studium oder eine Promotion braucht, dafür aber eine lange anstrengende Ausbildung und in den meisten Fällen einen Meistertitel, um seinen eigenen Betrieb führen zu können, ist vielen nicht bewusst. Vor allem das Friseurhandwerk genießt im Vergleich zu anderen Berufen weniger soziale Wertschätzung. Es ist das immer wieder gerne genommene Paradebeispiel, wenn es um Berufe mit schlechten Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung geht. So rackern Friseure für einen Hungerlohn, reihen sich in der Einkommensskala zwischen Küchenhilfen und Kellnern ein, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sind stressig, berufliche Perspektiven mau.

Vieles ist selbstverständlich absoluter Quatsch! So richten sich Arbeitszeiten, wie bei vielen Berufen, nach Angebot und Nachfrage (viele Salons haben mittlerweile Gleitzeiten eingeführt!) und bezüglich der beruflichen Perspektive: Der Friseurberuf hält engagierten und talentierten Mitstreitern viele attraktive Karrierewege offen, denn es gibt jede Menge Möglichkeiten an Aus- und Weiterbildungen. Wie wichtig die Arbeit des Handwerks mit Kamm und Schere ist, hat Corona immerhin deutlich gezeigt. Denn wenn etwas plötzlich nicht mehr möglich ist, wird einem bewusst, wie sehr man doch darauf angewiesen ist. Natürlich ist ein guter Haarschnitt nicht lebensnotwendig, aber für viele ist er unverzichtbar. Er gehört zu einem gepflegten Äußeren nun mal dazu. Und doch: Während die Anwältin, die über Recht und Unrecht redet, mit einem Stundenlohn von 200 Euro bezahlt wird, rümpfen die Leute die Nase über einen dreistündigen Färben-Schneiden-Waschen-Marathon, der etwas mehr als 100 Euro kosten soll, Pflege- und Styling-Know-how inklusive wohl gemerkt! Was läuft hier schief? Arbeit mit Liebe und Sorgfalt hat Anerkennung verdient – aber keine Diskussion über Preise. Überall, wo man Handarbeit bekommt, sollte man dementsprechend auch viel bezahlen, denn Handarbeit kostet für gewöhnlich. Fakt ist, gerade der Friseurberuf hat daher höchste Wertschätzung verdient!

Judith Lorenzon ist Vollblut-Redakteurin, liebt es kreativ tätig zu werden und bevorzugt Optimismus in Magazinen & Zeitungen.

Der Kommentar „Wertschätzung“ ist zum ersten Mal in der newClips – 03-21 erschienen (Seite 18)

Der Kommentar ist online zu lesen in der E-Paper Ausgabe 03-21